Das Gegenteil von Aktivität

Ich lese nach vielen Jahren wieder in Stefan Kleins Zeit als Lebenskunst. Darin thematisiert er unter anderem,dass Aktivität gerne als etwas Positives gesehen wird, während Inaktivität oder Nichtstun negativ konnotiert ist. Bei Worten wie Aktivität, Effizienz und Geschwindigkeit geht es um Begriffe,die vermeintlich den alternativlos richtigen Weg bezeichnen. Für das Gegenteil sind Worte wie Inaktivität, Langsamkeit und (Zeit)Verschwendung beliebt,

Er schlägt vor stattdessen emotional positiv aufgeladene Worte zu benutzen.

Also:

Aktivität → Muße und Ruhe

Effizienz →Gelassenheit und Genuss

Geschwindigkeit → Besinnung und Konzentration

Diese Wortwahl erzeugt ein anderes, besseres Framing, wenn wir über Alternativen zum Beschleunigungswahn reden.


Bertrand Russell über das Altern

If you have wide and keen interests and activities in which you can still be effective, you will have no reason to think about the merely statistical fact of the number of years you have already lived, still less of the probable shortness of your future.

Bertrand Russell – How to Grow Old in „Portraits From Memory And Other Essays“

Da ich schon länger in einem Alter bin, in dem ich mehr Lebenszeit hinter, als vor mir habe, lohnt es sich über das Altern nachzudenken.

Russells Vorschlag ist einfach: interessiere dich für die Welt und sei aktiv, dann drehst du dich nicht so bauchnabelschauend um dich selbst und hast mit dem Alter weniger Probleme. Das ist durchaus glaubhaft, wenn man sich sein Leben anschaut. Er wurde 97 und war bis zu seinem Tod aktiv.

Der Ratschlag kommt von jemand, der nicht nur weltbekannter Mathematiker, Philosoph und Pazifist war, sondern auch noch mit einem Nobelpreis für Literatur geehrt wurde. Ein ziemlich großes Spektrum. Beeindruckend. Etwas einschüchternd.

Glücklicherweise muss ich da nicht konkurrieren, sondern mir erst einmal nur Gedanken darüber machen, ob er da recht haben könnte. Und wenn ja, wie es denn so um meine Interessen bestellt ist.

Mindestens eine Sache fällt mir ein, die mich wach hält und der ich bis ins hohe Alter nachgehen kann: bloggen.

Schon mal ein Anfang.


Essentialismus und Minimalismus

Ich würde meine Methode deshalb auch nicht Minimalismus, sondern Essentialismus nennen: Ich verzichte auf Dinge, die mir nichts bedeuten, gebe aber Geld für Sachen aus, die andere Leute vielleicht als sinnlosen Luxus betrachten, guten Wein und gebundene Bücher zum Beispiel. Es geht darum, herauszufinden, was einem persönlich wirklich wichtig und unverzichtbar ist. Der Rest kann weg.

Meike Winnemuth – Bin im Garten

Vor gut zehn Jahren bevölkerten plötzlich recht viele Minimalismus-Blogs das Netz. Ich fand das sehr unterhaltsam, da ich selbst mit allzu viel Zeug nichts anfangen kann und ich auch nicht gerne Sachen kaufe. Aber relativ schnell breitete sich da so eine kleinkarierte Erbsenzählerei aus, die sich in einem immer absurderen Wettbewerb zum Thema „wer kann wohl mit den wenigsten Dingen leben“ äußerte. 100 Dinge müssen doch wohl genug sein! Ist ein Paar Socken jetzt ein Ding oder zwei?

700 Jahre früher gab es das schon mal, als die Franziskaner über die richtige Umsetzung des Armutsideals stritten. Da wurden dann von einer Fraktion die Kutten gekürzt, sodass sie nur noch knapp über den Po reichten. Der Streit wurde so erbittert ausgetragen, dass letztlich einige Verfechter des extremeren Armutsideals auf dem Scheiterhaufen endeten.

Dagegen war die Minimalismusdebatte harmlos. Aber diese humorlos verkniffene Auslegung von Lebensentwürfen mochte ich noch nie. Und hatte so immer das Gefühl, dass mich Minimalist nicht passend beschreibt.

Essentialismus dagegen finde ich sehr sympathisch und menschlich. Er kommt nicht mit einem erhobenen Verzichtszeigefinger, sondern richtet die Aufmerksamkeit auf das, was für den einzelnen Menschen wichtig ist. Und das ist für jeden etwas anderes. Den überflüssigen Rest wegzulassen, vereinfacht die Angelegenheit ohne Verzicht. Gefällt mir.

Das Buch von Meike Winnemuth schenkte mir Daniela 2020 zum Geburtstag. Ich habe es nicht nur gerne gelesen, sondern habe auch was daraus mitgenommen. Wie das Zitat oben belegt, das mir beim erneuten Blick in das Buch auffiel.


Der Mittagsschlaf und ich

Der Mittagsschlaf ist eine Inbesitznahme der eigenen Zeit, die sich dem Controlling entzieht. Die Siesta ist emanzipatorisch.

Thierry Paquot – Die Kunst des Mittagsschlafs

Seit ich mich häufiger im Homeoffice aufhalte, wäre der Mittagsschlaf organisatorisch eigentlich gar kein Problem. Trotzdem findet er – wenn überhaupt – nur an Wochenenden oder Feiertagen statt. Was mich an einem erholsamen Einnicken hindert, ist die gedankliche Verstrickung in die Arbeit. Sie muss erst fortgeräumt werden, bevor das Dösen gelingen kann. Gefühlt könnte das aber so lange dauern, dass dann der Feierabend schon in Sicht wäre. Den Mittagsschlaf als Emanzipation gegen die Zumutung der werktäglichen Arbeit einzusetzen, scheitert bei mir, leider.

Andererseits weist Paquot selbst darauf hin, dass besonders kluge/durchtriebene Arbeitgeber ja den Mittagsschlaf anordnen könnten, da bekanntlich ein Powernap die Effizienz des Arbeitenden steigert.

So gesehen ist mein Unvermögen zu einer werktäglichen Siesta und das Verlagern dieses angenehmen Zustandes auf freie Tage letztlich dann doch ein emanzipatorischer Akt.


Schlappentausch

Vor etwa 20 Jahren überredete mich Daniela ein paar dieser seltsamen, menorquinischen Schlappen zu kaufen. Ich misstraute der Konstruktion (wie kann der Schuh nur mit so einem einzelnen Riemen verlässlich am Fuß gehalten werden?), gab ihr aber eine Chance.

Zwei Paar Menorca-Schlappen, eins alt, eins neu
Zwei Generationen Schlappen

Aber sie funktionierte hervorragend (wenn der Riemen stabil hoch genug steht! ) und so sind die Menorca-Schlappen meine bevorzugten Sommerschuhe geworden.

Dementsprechend ist leider auch der Verschleiß. Alle paar Jahre ist die Sohle durch. Dann geht es mir wie Denis Diderot mit seinem Hausrock, dem er eine kleine Schrift widmete. Obwohl verschlissen und voller Tintenflecken an den Ärmeln war er so sehr Teil von ihm geworden, daß ein Ersatz nicht in Frage kam. Und er fand viele Gründe dafür.

Ganz so eng ist meine Beziehung zu den Schlappen nicht. Aber beim Übergang von Alt auf Neu fällt mir auf, wie perfekt sich Fuß und Schuh aufeinander eingestellt haben. Das ist nicht nur bequemer Sitz, den haben auch schon die neuen Schlappen, sondern eine unaufdringliche Selbstverständlichkeit von etwas, das beinahe Teil von mir selbst ist.

Aber wie es so ist, tempus fugit


Warum Lebenskunst ?

Warum sollte man sich überhaupt mit Lebenskunst und Selbstsorge auseinandersetzen? Einen Teil der Antwort findet sich in Epikurs „Brief an den Menoikus“:

Wer jung ist, soll nicht zögern, sich mit Philosophie zu beschäftigen, noch soll, wer schon ein Greis ist, in der Beschäftigung mit der Philosophie ermatten; denn niemand ist zu jung oder zu alt, für die Gesundheit seiner Seele zu sorgen.

Es geht also um die „Gesundheit der Seele“. Für Epikur war eine gesunde Seele untrennbar verbunden mit einem angstfreien Leben. Es gab damals wie heute vieles, was angst macht: Angst vor Armut, Krankheit, Tod, Göttern und Mitmenschen sind in der Moderne noch genauso vorhanden, wie in der Antike. Sie treten heute vielleicht in gewandelter Form auf, aber hinter dieser Oberfläche sind sie dieselben geblieben.
Nach Epikurs Ansicht reichte ein bescheidenes an der Vernunft orientiertes Leben aus, um glückselig zu werden. Auch wenn das von ihm zu knapp gedacht sein sollte, so hat ein gelingendes Leben in erster Linie mit Einstellungen und Haltungen zu tun, denn die Dinge werden so bleiben, wie sie sind. Wir haben selten die Kontrolle über sie (Regnet es?), Kontrolle haben wir aber in weit größerem Umfang über unsere Einstellungen zu den Dingen (Ärgere ich mich über den Regen?). Aber eine kluge und auch robuste Haltung zum Leben fällt nicht einfach vom Himmel, noch ist sie angeboren. Sie will erarbeitet werden, durchdacht und eingeübt sein.
Genau das ist Lebenskunst.


Ruhe im Kopf

Gelegentlich herrscht im Kopf Chaos: die Gedanken scheinen ihre eigene Richtung einzuschlagen, man grübelt, ist unkonzentriert und kommt zunehmend in eine finstere Stimmung. In solchen Momenten wäre es angenehm, die eigenen Gedanken einmal für ein paar Minuten abzuschalten. Das geht, erfordert aber Übung.

Die Meditation im Zen, aber auch in vielen anderen Schulen, basiert auf einer scheinbar ganz einfachen Übung: Atmen und zählen.
Man beginnt mit eins beim Einatmen, dann folgt zwei beim Ausatmen, dann gehts mit dem nächsten Einatmen und der Drei weiter. Das Spiel geht bis zehn und beginnt dann von vorne.
In der fortgeschrittenen Version werden nur noch die Atemzüge gezählt und am Ende bleibt die reine Konzentration auf das Atmen.
Beim Atmen sollte ganz bewusst in den Bauch geatmet werden. Achten sie konzentriert auf ihren Körper.

Warum Atmen und Zählen? Sie haben den Vorteil, daß sie unseren Kopf mit neutralen Gedanken füllen. Sie sind nicht mit positiven oder negativen Assoziationen belegt, sondern einfach nur neutrales Atmen und Zählen.

Aber vorsicht: Die Sache klingt einfacher, als sie ist. Probieren sie es aus. Überraschend schnell werden sie sich dabei ertappen, daß ihre Gedanken abschweifen. Das ist völlig normal, es wird immer wieder passieren. Wichtig ist, daß sie wieder zum Atmen und Zählen zurückkehren.
Das Zählen hilft bei der Konzentration. Lediglich zu atmen und den Körper dabei zu beobachtenlässt sehr schnell die Gedanken abschweifen.

Die Technik lässt sich übrigens zweckentfremden. Benutzen sie sie, wenn sie Schwierigkeiten haben einzuschlafen. Besonders dann, wenn sie mitten in der Nacht aufwachen und sich die finsteren Gedanken der frühen Morgenstunden einstellen. Im Gegensatz zum Schäfchen zählen, empfehle ich, sich nur mit der Konzentration auf den Atem zu begnügen. Denn der Sinn der Sache ist ja nicht, die Konzentration möglichst lange aufrechtzuhalten, sondern den Kopf leer zu bekommen (mit neutralen Inhalten zu füllen) und von dort aus entspannt in den Schlaf hinüberzutreiben.


Kur in guter Laune

Bei Alain bin ich auf eine besondere Art der Kur gestoßen, eine Kur für gute Laune. In einem seiner Propos (kurze Artikel zu einem Thema) stellt er mit einem Augenzwinkern eine Anleitung für das Bewahren der guten Laune vor. Seine drei Protagonisten schildern sich gegenseitig ihre Fortschritte. So wie in einer Kur ein kalter Wasserguss, der im normalen Leben als höchst unangenehm erlebt würde, einfach als üblicher Bestandteil erlebt wird, so werden in der Kur für gute Laune die Miesmacher nicht als Ärgernis, sondern als Herausforderung betrachtet. Um sich nicht gleich zu überfordern, beginnt man mit kleineren Irritationen und arbeitet sich langsam zu den größeren Ärgernissen vor. Zum Schluss ist man so abgehärtet, daß man auch im normalen Leben seine gute Laune nicht verlieren wird.

Alains Idee, diese Arbeit an sich selbst als Kur zu verpacken, ist sicher etwas ungewöhnlich. Aber sie zeigt die Möglichkeit eines spielerischen Umgangs mit Menschen und Situationen. Statt mich über einen hartschädligen Beamten zu ärgern, stelle ich mir vor, dass er extra für mich diese alberne Vorstellung gibt, damit ich meine Ruhe und Gelassenheit an ihm üben kann. Es ist geradezu bewundernswert, wie viel Mühe er sich gibt.

Ich muss zugeben, dass es nicht einfach ist, sich auf so ein Spiel mit der eigenen Einstellung einzulassen. Aber wenn es gelingt, kann eine eigentlich unangenehme Situation als durchaus amüsant erlebt werden.
Bei dem Versuch eine Kur in guter Laune zu machen, können sie nichts verlieren. Schlimmstenfalls ärgern sie sich trotzdem, bestenfalls behalten sie ihre gut Laune.
Also los, die Kur kann jederzeit beginnen.