Eine epikureeische Gratwanderung

Epikurs Haltung zu all dem, was über die Erfüllung unserer Grundbedürfnisse hinausgeht, ist klar: Es trägt nicht zu unserem Glück bei; das Glücksmaximum ist bereits erreicht. Er käme aber auch nie auf die Idee, uns zu verbieten, beispielsweise sehr gut zu essen. Aber er rät zur Vorsicht: wenn wir uns an das gute Essen gewöhnen, so fehlt uns etwas, wenn wir es nicht mehr bekommen. Unlust ist die Folge.
Die Haltung zu allem, was über die Deckung der Grundbedürfnisse hinausgeht, sollte also immer mit Distanz verbunden sein, um es richtig genießen zu können und um den Genuss nicht mit Ängsten zu vergällen.
So weit zur antiken Theorie. Nehmen wir an, dass ich etwas richtig gerne tue. Beispielsweise Philosophieren. Oder malen. Es sind keine Grundbedürfnisse, ich müsste also eine distanzierte Haltung annehmen. Aber wie soll diese ausgestaltet werden, ohne dass auf der einen Seite Abhängigkeit entsteht, aber auf der anderen Seite die Freude und Begeisterung erhalten bleiben?
Schwierig. Stoff zum Nachdenken.

Kommentare

  • Ich denke, man sollte unterscheiden zwischen vorhandenen Grundbedürfnissen wie Essen, Schlaf, menschliche Beziehungen, Rückzugsmöglichkeiten etc. und Tätigkeiten, die aus sich selbst heraus Freude bringen wie Philosophieren oder Malen.
    Erstere folgen der Logik von Spannung und Entspannung oder (technisch gesprochen) von Soll-Wert und Ist-Wert.
    Letztere sind komplexe Tätigkeiten, die steigerbar sind. Das heißt, die Freude kann erhalten bleiben, wenn man der ihnen innewohnenden Logik folgt und die eigenen Fertigkeiten auch entsprechend entwickelt.
    Näheres zu dieser Unterscheidung findet man im Buch „Evolution und Lebenskunst“ von Dietmar Hansch, das ich unter „http://stefan-kappner.de/lebenskunst_empfehlungen_hansch.htm#lebenskunst“ vorstelle.

  • Gerade die steigerbaren Tätigkeiten sind nicht unproblematisch. Sie bringen mir Freude, wenn ich sie ausüben kann. Wenn mir das aber verwehrt ist, dann sollte die Unlust (um mit Epikur zu sprechen) nicht Überhand nehmen. Es geht mir also um eine gelassene Einstellung, dass also das Lassen einer Tätigkeit mich nicht deprimiert hinterlässt (überspitzt: Suchtprävention). Gnaz praktisch geht es mir in meinem Lebensalltag um folgendes: ich habe zu wenig Zeit all das zu tun, was ich gern tun möchte. Ich muß also auswählen. Aber nach getroffener Wahl sollte es so sein, dass ich mich über die gewählte Tätigkeit freue ohne gleichzeitg den nicht gewählten Tätigkeiten hinterherzutrauern. Das erfordert – denke ich – einen bestimmten Blickwinkel. An dem arbeite ich. Aber es ist knifflig.
    Nebenbei: „Evolution und Lebenskunst“ klingt sehr interessant :-)

  • Nun verstehe ich das Problem besser. An einem solchen „Blickwinkel“ bin ich auch interessiert.
    Zeitweilig schaffe ich es, sehr viele Tätigkeit nebeneinander zu betreiben, was mir tatsächlich „rauschhafte“ Zustände beschert. Nach einer Weile geht mir dann die Kraft aus oder ich muss mich aufgrund äußerer Zwänge auf wenige Tätigkeiten beschränken.
    Dabei habe ich zwei Beobachtungen gemacht:
    1. Je mehr ich tatsächlich in Angriff nehme (und dazu braucht es Kraft), desto mehr schaffe ich, tendenziell. Je mehr ich versuche, mich (ängstlich) auf weniges zu konzentrieren, desto schneller geht mir die Kraft aus. Ich höre auf zu joggen und Musik zu machen/hören (das ist immer das erste, was wegfällt), daraufhin geht der Rythmus, die Spannung verloren etc.
    2. Ruhephasen, Stille, Oasentage etc. sind außerordentlich wichtig. Nicht, um die Arbeitskraft zu „reproduzieren“ wie Marx sagen würde, sondern um dem Leben eine Dimension jenseits der Tätigkeit zu geben. Genausowenig wie wir unsere Bedürfnisse sind, sind wir unsere Tätigkeiten. Nennen wir diesen Erfahrungsbereich einmal die „spirituelle Dimension“.

    Ditmar Hansch schlägt vor, die Tätigkeiten in eine Ziel- oder Sinnhierarchie zu bringen und sie damit gleichsam zu „vernetzen“. So lässt sich zum Beispiel eine sportliche Betätigung in Zusammenhang mit dem Beruf bringen, wenn man an Fitness etc. denkt. Auf diese Weise teilt sich der Sinn, den man mit der Arbeit verbindet, auch dem Sport mit etc.
    Das Problem ist nur, dass viele Tätigkeiten (zumindest gilt das für mich) eher koordiniert als subordiniert sind, wie in dem Beispiel. Das gilt vor allem, wenn man viele Hobbies hat.

  • Genau diese Vernetzung ist mein Problem. Zwar überschneiden sich meine Interessen in Teilen, aber sie in Form einer Hierarchie zu bringen ist nicht wirklich möglich.
    Aber eine Hierarchie wäre natürlich wünschenswert, denn egal womit ich mich gerade in der Hierarchie beschäftige, so trägt es doch immer zu dem einen Gesamtziel bei. Anders gesagt: wenn das oberste Ziel sportliche Fitness ist, dann ist es nur von minderer Bedeutung, ob ich gerade schwimme oder jogge.
    Bei der Wahl zwischen Schwimmen und Malen sieht es offenkundig anders aus.
    Ein (noch nicht durchdachter) Gedanke in diesem Zusammenhang: Wenn ich die Hierarchie nicht von den Tätigkeiten direkt, sondern von ihrem Sinn für mich (vielleicht so etwas wie die „spirituelle Dimension“) her aufbaue, könnte eine Subordintation gelingen. Der Versuch hat zumnidestens den Vorteil, dass ich mir klarer darüber werde, warum ich was tue.

  • Es wäre in jedem Fall ein guter Weg zu sehen, warum man was tut.
    Ich komme noch einmal auf Hansch zurück. Er schreibt, man solle „seine Entwicklung bis an den Punkt bringen, wo sich in der Konkurrenz der Antriebe ein dominierendes Lebensthema durchsetzt“. Ein solcher Entwicklungsprozess wird sicherlich dadurch unterstützt, wenn man die einzelnen Tätigkeiten hernimmt, die man gerne ausübt, und sich fragt, warum.
    Weiter empfiehlt Hansch im Anschluss an Viktor Frankl, dass das Lebensthema, der eigene „Sinn“ sich nicht im reinen Lebensglück erschöpft. In diesem Fall wäre es beinahe unmöglich, sich für eine von zwei Arbeiten, Hobbies etc. zu entscheiden, wenn man von beiden den gleichen Lustgewinn erwartet.
    Wenn dagegen der eigene Sinn „höherer Art“ ist als das reine Glück, also zum Beispiel im Einsatz für andere, wie auch immer dieser aussieht, oder im Verfolgen einer höheren Wahrheit, dann könnte es gelingen, im Einzelfall zu entscheiden, welches Hobby oder welche Arbeit aufgegeben werden muss, wenn man dem Lebenssinn näher kommen will.

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