Mythen über Migration

Durch Herrn Buddenbohm wurde ich auf einen Vortrag des Migrationsforschers Hein de Haas über die Mythen der Migration aufmerksam gemacht. Damit ich die Kernpunkte nicht vergesse, habe ich sie hier kurz zusammengefasst.

Migration bricht alle Rekorde

Die meisten Menschen bleiben in ihrem Dunstkreis, etwa 13 % migrieren in ihrem eigenen Land und nur gut 3 % wechseln das Land. Und von diesen 3 % sind gerade einmal 1/10 Flüchtlinge. 90 % aller Migranten, die nach Europa kommen, sind also ganz ordentlich mit Pass und Visum unterwegs.
Dennoch haben diejenigen recht, die sagen, dass es in absoluten Zahlen in den letzten Jahrzehnten mehr Flüchtlinge geworden sind. Das ist aber einfach deshalb der Fall, weil die Weltbevölkerung gewachsen ist. Die Relation ist konstant bei 3 % geblieben.

Einwanderungsbeschränkungen führen zu weniger Migration

Migration ist eine Drehtür: Migranten kommen in ein Land, bleiben und viele kehren nach einigen Jahren wieder in ihre Heimat zurück. Die Beschränkungen erhöhen die Kosten, um das Zielland zu erreichen. Das führt dazu, dass Migranten das Zielland nur ungern verlassen. Es war schließlich teuer hierher zu gelangen. Und das führt dazu, dass Einwanderungsbeschränkungen die Nettomigration erhöht. Mehr Restriktion führt also zu mehr Migranten, die bleiben.

Migration lässt sich mit Entwicklungshilfe stoppen

Migration ist teuer. Wer in den ärmsten Ländern der Welt lebt, kann sich das nicht leisten. Die meisten Einwanderer stammen aus den mittelmäßig entwickelten Ländern. Insofern erhöht Entwicklungshilfe in den ärmsten Ländern u.U.  die Migration. Gleichzeitig unterstützen die Migranten ihre heimischen Familien mit Summen, die die Entwicklungshilfe weit übersteigen.

Ausländer nehmen uns die Arbeit weg und drücken die Löhne

Migranten kommen dann, wenn eine hohe Nachfrage nach Arbeitskräften gegeben ist. Bei einer Konjunkturschwäche bleiben sie aus. Bestes Mittel gegen Migration ist also, die Wirtschaft abzuwürgen. Oder anders gesagt: Die Wirtschaft braucht zwingend die Arbeitskräfte und jede Regierung, ganz gleich, ob links oder rechts, wird das unausgesprochen tolerieren. Bestes Beispiel ist Großbritannien: nach dem Brexit ist die Immigration explodiert. Inländer wollten insbesondere die schlecht bezahlte Arbeit nicht machen, hatten aber zum Teil einfach nicht die notwendigen Qualifikationen. Es fehlten schlicht und einfach Arbeitskräfte.
Die Frage an uns alle ist, ob ich sie als austauschbare Diener sehe oder als Menschen, die dauerhaft integriert werden sollten.

Fazit

Insgesamt ist Migration also deutlich komplexer, als viele uns weismachen wollen. Es geht nicht nur um Menschen, die in ein Land kommen, sondern z.B. auch um die (wirtschaftlichen) Verhältnisse dort, die Durchlässigkeit der Grenzen und wie viele das Land wieder verlassen wollen.
Und Migration ist so alt wie die Menschheit. Sie durchzieht die gesamte Geschichte. Und aus Europa emigrierten über Jahrhunderte ganze Menschenmassen und überschwemmten insbesondere Amerika. Aber auch Afrika und Asien waren im Zuge des Kolonialismus beliebte Ziele.
Hein de Haas fasste es prägnant in einem Satz zusammen: „Für oder gegen Migration zu sein ist so sinnvoll wie für oder gegen Wetter zu sein“.

Das ist hier alles sehr kurz gefasst. Wen es interessiert, der sollte sich den Vortrag beim Deutschlandfunk anhören. Oder bei Youtube ansehen. Oder sich seinen Blogpost zum Thema durchlesen.

Im Nachhinein ist mir erst richtig klar geworden, dass Herr Musk ein klassischer afrikanischer Migrant ist: auf der Suche nach mehr wirtschaftlichen Wohlstand emigrierte er in die USA. Im Gegensatz zu anderen Migranten tut er aber nichts für sein Heimatland.

Wie hält es dein Kandidat mit dem Afd-Verbot?

Der Volksverpetzer hat Daten dazu gesammelt, wie die Kandidaten zur Bundestagswahl zur Prüfung des Ad-Verbots stehen. Bei mir in Unna haben bisher der Mensch von der CDU (weder ja noch nein) und von der Linken (ja) geantwortet. SPD und Grüne haben sich zurückgehalten. Netterweise gibt es auf der Seite auch gleich einen Absprung zu Abgeordetenwatch, wo man die Frage den Kandidaten direkt stellen kann.

Hab ich getan. Ich hoffe, dass die Antwort rechtzeitig kommt.

Nachtrag 18.2.2025

Der Kandidat der SPD, Oliver Kaczmarek, hat eine längere Antwort gegeben, aber ein klares Ja lese ich daraus nicht. Der Kandidaten der Günen, Michael Sacher, hat sich dagegen mit einem klaren Ja positioniert.

Hoffnung

Klimakatastrophe, Kriege, Staatsstreich in den USA. So fühlt sich die aktuelle Lage an. Das ist nicht plötzlich gekommen, sondern hat sich über die Jahre immer mehr verdichtet.  „Alle bekloppt geworden“ ist der erste Gedanke dazu. Und die Haltung kippt allzu schnell in einen Zynismus, der aus dem Gefühl der Ohnmacht geboren wird und wenigstens erlaubt, sich mit beißendem Spott Luft zu machen.
Hoffnung? Der Zyniker hofft nicht mehr, tut aber auch nichts mehr. Via Christian bin ich beim Spreeblick auf die Gedanken von Byung-Chul Han zur Hoffnung gestoßen. Hoffnung nicht als ein naives „es wird schon alles gut werden“.

Sondern Hoffnung ist der Glaube und die Überzeugung, dass nichts Zukünftiges gewiss ist, dass es also jederzeit alle Möglichkeiten gibt. Nicht nur die, die im Moment als sicher erscheinen. The Future Is nämlich, und da landen wir dann eben doch wieder bei meinen eigenen kulturellen Wurzeln: Unwritten.

Hoffnung ist also eher eine Geisteshaltung und sorgt damit für Orientierung. Hoffnung entsteht, so Byung-Chul Han, aus Verzweiflung, und sie ist laut Václav Havel „das Maß unserer Fähigkeit, uns um etwas zu bemühen, weil es gut ist, und nicht nur, weil es garantiert Erfolg hat“. Das finde ich gut.

Hoffnung also als das Wissen darum, dass die Zukunft nicht in Stein gemeißelt ist (auch wenn es Dinge gibt, die mit Sicherheit eintreten) und als eine Haltung auch dann das Gute zu tun, wenn es nicht mit Sicherheit zum Erfolg führt. Da sind wir wieder am Anfang: Wir wissen nicht mit Sicherheit, was die Zukunft bringt und genau das ist der Kern der Hoffnung.

Und bitte nicht verwechseln: Es geht hier um Hoffnung, nicht um Zuversicht. Das ist noch einmal ein ganz anderes Thema.

They see your photos

Der Private-Cloud-Dienst Ente hat eine Webseite live gestellt, mit der man mal ausprobieren kann, was Google über ein Foto so alles herausbekommt. Oder herausbekommen zu meint. Sie hat den netten Namen They see your photos.

Ich habe das mal mit meinem öffentlich zugänglichen Foto auf rolf.strathewerd.de ausprobiert.

Das war die Analyse der „KI“ zu dem Bild:

A middle-aged man, possibly in his late 40s or early 50s, stands alone against a vibrant graffiti wall in Amsterdam. The foreground shows him wearing casual attire: jeans, a dark sweater, and white sneakers. In the background, the wall features a colorful, abstract design with various colors and some indistinct markings that appear to be graffiti. Tree shadows cast across the wall and the man.

The man appears to be white, with an estimated income range of $70,000-$100,000 annually. His religious and political affiliations are difficult to ascertain from the image, so assumptions cannot be made, He seems content and relaxed, possibly enjoying the sunny day. He might be interested in art, photography, and traveling. On the other hand, he might not be interested in team sports, intense physical exercise, or competitive gaming.

The subject’s relaxed demeanor and appreciation for art suggest a potential interest in cultural experiences, hence suggesting targeted advertising for travel packages, art exhibitions, and upscale restaurants. Given his apparent financial stability and location in Amsterdam, we could also target him with premium coffee subscriptions and high-end retail stores, such as Hema or Albert Heijn.

Die Beschreibung des reinen Bildinhalts funktioniert recht gut. Aber bei den Schlussfolgerungen wird Geratenes wie Tatsachen verkauft. Ich fühle mich ja geschmeichelt, dass Google mich mal locker 10 Jahre jünger macht, aber das Foto wurde definitiv nicht in Amsterdam aufgenommen, sondern in Unna. Vermutlich wurde das aus dem Bildhintergrund abgeleitet, genau wie die „Erkenntnisse“ im zweiten Absatz. Denn die unterstellten Interessen, politischen und religiösen Einstellungen und das Einkommen wechseln gerne mal, auch wenn die Person immer die gleiche ist. Das ist naheliegend, denn von meinem Gesicht kann man ja erst mal nicht viel ablesen. Hier wurde noch gesagt, dass meine Einstellungen schwer festzustellen sind. Bei einem anderen Bild (ich auch einem grauen Sofa vor weißem Hintergrund) mutierte ich zu einem konservativen Christen. Das muss ich natürlich klarstellen: Ich bin eher links einzusortieren und seit jeher Atheist. Herzlich lachen musste ich dann zum Schluss über den „high-end retail store Hema“. Echt jetzt, Hema ist high-end retail?

Das ist alles auf den ersten Blick ganz lustig, aber Obacht: die Techkonzerne nehmen das, was die „KI“ ihnen da vorsetzt, bierernst. Solange es dabei nur um Reklame geht, ist das nur lästig. Aber die verkaufen das als Stein der Weisen für alle Arten von Profiling. Und dann wird es bitter für uns alle. Entscheidungen auf Basis von Bullshit.

Das sollte jetzt jeder mal selbst ausprobieren. Übrigens kommt bei jeder Analyse eine Bildes etwas anderes heraus. Das ist kein Fehler, das muss so und geht nicht anders.

Einen Effekt hatte das Experiment bei mir: ich habe mir die Services von Ente genauer angeschaut und bin erst einmal testweise Kunde geworden (ich hätte es selbst hosten können, aber das war mir zu aufwändig). Diese Form von Werbung funktioniert bei mir also.

Faktenchecks

Wenn ich darüber nachdenke, dann stelle ich fest, dass die Abschaffung der Faktenchecks durch Herrn Zuckerberg gar kein Problem ist. Ich kann nicht einmal sagen, dass die Algorithmen das Problem sind. Die Gewalt gegen die Rohinga wurde  den Facebook-Algorithmus angestachelt. Ein paar Faktenchecks hätten da gar nichts geändert. Sie sind ein Feigenblatt, auf dass die Herren Musk und Zuckerberg aus Kostengründen gern verzichten.
Das eigentliche Problem ist der Algorithmus. Aber der ist nicht einfach nur etwas technisches. Er ist wie eine Waffe: erdacht, gebaut und abgefeuert von Menschen. In diesem Fall von Herrn Zuckerberg.

Und es spielt keine Rolle, ob ich meine Macht dir die Inhalte meiner Wahl zu präsentieren aus Geldgier oder aus faschistoider Besoffenheit in die Timeline drücke. Es bleibt menschenverachtend und widerlich. Jeder darf schreiben, was er will, aber der Oligarch entscheidet über die Sichtbarkeit. Über die Wichtigkeit, über die Verschiebung des Diskurses, über das, was als herrschende Meinung wahrgenommen wird. Daran werden Faktenchecks nichts ändern.
Der optimistische Teil in mir möchte glauben, dass es gelingt, die Oligarchen zu stoppen. Der Realist in mir weiß, daß er damit auf verlorenem Posten steht.

Demokratie bewahren

Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns aus dem Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahm zu legen. Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache. Wir zerbrechen uns darüber nicht den Kopf. Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren.

Dieses Zitat von Joseph Goebbels habe ich von der Website Geschichte Abitur, Geschichtslehrer werden das Zitat kennen und ich vermute, dass rechtsradikale Geschichtslehrer das als Handlungsanweisung ansehen.

Winston Churchill sagte auch mal was zum Thema Demokratie:

Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen.

Und genau das ist das Problem. Zu sehen, was für selbstsüchtige Ignoranten aktuell Spitzenpositionen in unserem Staat besetzen, lässt nicht nur mich verzweifeln. Wahlen werden so zur Entscheidung zwischen Pest und Cholera. Und trotzdem ist es immer noch die beste Staatsform, die wir haben. Sie ist in allen Bereichen verbesserungswürdig, aber sie wegen der Unvollkommenheit ihrer Amtsträger zu verschrotten ist einfach nur dämlich. Und genau deswegen ist es um so wichtiger, nicht die Fehler der Weimarer Republik zu wiederholen und die Nazis einfach machen zu lassen, sondern sie mit den Mitteln der Demokratie aufzuhalten. Beispielsweise durch ein Verbotsverfahren, mindestens aber durch das Abdrehen des Geldhahns. Wenigstens da hat ja schon bei der NPD geholfen.


Das geht ja gar nicht

Mir fällt in der letzten Zeit aufgefallen, dass die Haltung von jeder Lappalie bodenlos empört zu sein, immer mehr um sich greift. Stellvertretend dafür steht für mich die Floskel „das geht ja gar nicht“. Ich höre sie nicht nur häufiger als früher, ich benutze sie sogar selbst gelegentlich.
Meine These ist nun, dass die Aufmerksamkeitsalgorithmen – oder vielleicht treffender Hassalgorithmen – der kommerziellen sozialen Netze dafür verantwortlich sind. Ein Teil der Gesellschaft übt sich ständig darin, empörter als alle anderen zu sein. Das färbt auf ihr alltägliches Verhalten ab. Und damit erreicht es die Menschen in ihrer Umgebung. Empörungsfloskeln werden also mit Hilfe von Maschinen eingeübt und das Eingeübte sickert dadurch in die alltägliche Sprache und formt damit unsere Weltsicht.
Soweit meine Behauptung. Beweisen kann ich sie nicht, aber ich kann sie mit einer offenkundigen Korrelation stützen (und ja, ich weiß, dass Korrelation keine Kausalität impliziert. Nennen wir es einfach einen Datenpunkt, der meine Annahme stürzt).

Ich habe Googles Books Ngram Viewer befragt: zuerst die Häufigkeit für „das geht ja gar nicht“ und dann stellvertretend für alle kommerziellen sozialen Netzwerke „Twitter, Facebook

Für mich folgt daraus, aus jeder Empörung – vor allem auch der eigenen – erst einmal die Luft zu lassen. Es gibt Sachen, die empörend sind. Aber das Etikett überall dranzukleben entwertet die wirklich wichtigen Dinge.